Hin und Zurück … die Geschichte einer Absolventin in Afrika
Füße trappeln auf dem orangefarbenen Linoleum. Aufgedrehtes Getuschel. Der Raum der Klasse „Sanddorn“ ist zum Bersten gefüllt. Suchende Blicke im ganzen Zimmer. Die Köpfe drehen sich fragend wie kleine Propeller. „Wer ist das?“ „Warum ist sie hier?“ „Worüber will sie sprechen?“ Die Fragen gelten der jungen Frau, die mit einem freundlichen Lächeln im Zentrum des Raumes steht und sich mit einigen Pädagogen und Schülern unterhält. Sie sieht nicht aus wie eine der typischen Referentinnen. Über Afrika will sie erzählen, soviel hat sich herum gesprochen. Aber was hat die junge Frau mit Afrika zu tun?
Es ist der 4. Juni 2015 und die gesamten Schüler und Pädagogen der Grundstufe füllen die Stühle, Tische und den Boden des Raumes. Die junge Frau stellt sich als Luisa Thümmel vor. Sie sei eine ehemalige Schülerin der Montessori-Schule Chemnitz und vor wenigen Wochen aus Afrika zurückgekehrt. Sie spricht, wie ihr der Schnabel wächst, nicht gestelzt oder so eindringlich wie die Lehrer für gewöhnlich. Sie beginnt zu erzählen und sofort hat sie jeden im Raum in ihren Bann gezogen. Ein still vor sich hin summender Beamer schießt Bilder auf eine Leinwand. Man sieht Füße, die auf dem Armaturenbrett eines Reisebusses liegen. Durch die Frontscheibe schaut man auf eine scheinbar endlose Landstraße, die schnurgerade durch eine öde afrikanische Steppe führt. Es sind keine Katalogbilder, die potenzielle Touristen von einem Besuch überzeuge sollen. Es sind authentische Fotos von jemandem der dort war und davon berichtet. Über ein Austauschprogramm sei sie nach Afrika gekommen. Es sein eine Art „Work and Travel“. Afrikanische Unternehmen, meist Lodges oder landwirtschaftliche Betriebe, bieten offene Stellen auf einer Plattform im Internet an. Interessenten können sich darauf bewerben, um das Land zu erleben und sich gleichzeitig Kost und Logie zu verdienen.
Die Reise beginnt in Südafrika. Sie sind zu zweit. Mit dem Reisebus geht es zu einer Lodge, die im Stil noch an die alten Kolonialzeiten erinnert. Dort wohnen sie in runden, von außen traditionell wirkenden Hütten und arbeiten im Gemüsegarten, an der Bar und später sogar an der Rezeption. Bilder zeigen Steppenbrände, die sich als kontrolliertes Abbrennen der vertrockneten Vegetation herausstellen, um den Boden fruchtbarer zu machen. Sie erleben den Übergang zur Regenzeit und wie aus der kargen Landschaft eine grüne Ebene wird. Zweieinhalb Monate werden sie an diesem Ort wohnen, bevor es sie weiter in die Drakensberge führt. Neben der Arbeit auf der Lodge bleibt zwischendurch immer wieder Zeit für eine Wanderung in den Bergen. Noch immer leuchten die Augen von Luisa, wenn sie von diesen Momenten erzählt, von den Felsen, den Wasserfälle, der Tierwelt und der Vegetation. Die Bilder sind berauschend. Später in Johannesburg haben sie die Möglichkeit, im geschützten Umfeld Löwen zu streicheln. Mit Ausrufen wie „oooh“ und „wie süüüüß“ kommentieren die Schüler im Publikum die Bilder. Einige anderen fragen ehrfürchtig, wie die Löwen so zutraulich sein können. Von da aus fahren sie weiter nach „Gaborone“ der Hauptstadt von Botswana, einem nördlichen Nachbarn Südafrikas. Der Unterschied könnte krasser nicht sein, erzählt Luisa. Die Mehrheit der Einwohner sind schwarz, die Minderheit ist weiß. Sie spricht vom Rassismus in Afrika und die Kinder hängen an ihren Lippen. Eindrücklich schildert sie ihre Beobachtungen und zieht Vergleiche. Jede Faser ihres Körpers spiegelt ihre Abscheu vor dem alltäglich gelebten Rassismus wider. Mit einem verschmitzten Lächeln erzählt sie von Begebenheiten, wenn sie sich den Ratschlägen, sich von den „Schwarzen“ fernzuhalten, widersetzt hat. In Südafrika, fährt sie fort, werden die meisten „Schwarzen“ mit geringer Bildung und daraus resultierenden schlecht bezahlten Jobs am unteren Rand der Gesellschaft gehalten. In Botswana ist das anders. Durch die Mehrheit der „Schwarzen“ in der Bevölkerung ist die Bildung höher, wodurch sie auch besser in die Gesellschaft integriert sind.
Weiter geht es nach Namibia, der ehemaligen deutschen Kolonie „Deutsch Südwestafrika“. Noch heute ist die Vergangenheit spürbar. Sie ist ein Zentrum deutscher Touristen und die deutsche Sprache hier noch immer allgegenwärtig. Über die Hauptstadt „Windhuk“, wo sie eine recht skurrile Variante des Karnevals erleben, fahren sie zur nächsten Station. Plötzlich befinden sie sich auf einer Lodge „irgendwo in Afrika“ inmitten der Natur. Bilder zeigen Zebras, Kudu- und Oryxantilopen, echte und „unechte“ Straußennester, Schakale, Hyänen sowie zahme Erdmännchen. Luisa erzählt von Touren mit Buschmännern, vom Besuch einer verlassenen Diamantenstadt, die Stück für Stück unter der Wüste begraben wird und der Küstenstadt „Lüderitz“. Der Name erinnert nicht nur an ein hiesiges Ostseebad, der Ort sieht auch so aus. Mitten in Afrika.
Als nach einer knappen Stunde die Vorhänge zurück gezogen werden, sind die Kinder noch immer gebannt von dem eben Erlebten. Ob es denn auch Wald gebe, bestürmen sie Luisa mit Fragen oder Tiere im Wasser. Geduldig gibt sie Antwort, garniert mit Episoden ihrer Reise. Sie erwähnt das Müllproblem. Achtlos würden Plastikflaschen in die Landschaft geworfen. Meist entstünden die Hügel hinterm Haus aus vergrabenem Unrat. Fehlende Nachhaltigkeit würde zukünftige Generationen vor schwierige Aufgaben stellen. Ja, beantwortet sie die letzte Frage eines Schülers, sie würde wieder hinfahren, jeder Zeit, gern in andere Länder des Kontinents.
Auch lange nachdem die Schüler gegangen sind und der Raum nahezu leer zurück bleibt, findet man Luisa im Gebäude. Sie besucht ehemalige Mitschüler, spricht mit Pädagogen über ihre Zeit hier in der Einrichtung, über die Reise und ihre Zukunftspläne. Fast scheint es, sie hindere etwas am Gehen und könne sich nicht lösen.
Aus den Augen aus dem Sinn, heißt es gemeinhin. Doch dieser Besuch straft das Sprichwort Lügen. Er zeigt die Bindung, die die Schüler über die Jahre aufbauen, das Verhältnis, dass sie mit den Mitschülern und Pädagogen haben. Sie verlassen die Schule und kommen zurück eines Tages, um über die Welt da draußen hinter den Schulmauern zu erzählen, über die Möglichkeiten und Chancen. Sie haben begriffen im wahrsten Sinne. Die Welt berührt und die nachfolgenden Generationen hören mit offenen Mündern zu. Da steht eine von ihnen, die von dem berichtet, was sie selbst in Büchern lesen. Schule mal anders, eindrucksvoller und nachhaltiger als es jede Unterrichtsstunde vermögen könnte.
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Veröffentlich in der Kategorie "Oberschule" am 08.06.2015