Literaturprojektwoche
L-I-T-E-R-A-T-U-R-P-R-O-J-E-K-T-W-O-C-H-E!!! Den Kindern steht der Schock ins Gesicht geschrieben. Namen wie Goethe, Schiller und Shakespeare geistern durch den Raum und sorgen für lange Gesichter. Gedichte auswendig lernen? Aufsätze schreiben? Langweilige Theaterstücke? Moment, Claudia wer? Claudia Frieser? Nie gehört! Oskar und das Geheimnis der verschwundenen Kinder? Hm, klingt erst einmal nicht sooo schlecht. Geheimnis? Verschwundene Kinder? Klingt spannend! Das ist eines der beiden Bücher, die Grundlage für ein Literaturprojekt in der letzten Schulwoche vor den Herbstferien 2016 sein sollen.
Oskar trauert noch um den Tod seines Großvaters, doch er hat etwas von ihm geerbt, was sich wohl so manche Kinder wünschen würden. Ein Geheimnis. Auf dem Dachboden seiner Eltern steht eine alte Truhe, die antike Kleidungsstücke und einen Brief vom Großvater an seinen Enkel enthält. In diesem Brief erklärt der Großvater, wie man in die Vergangenheit reisen kann. Oskar kann es nicht glauben. Sollte es wirklich möglich sein, mithilfe eines hohlen Baumes im Garten ins Mittelalter reisen zu können? Das muss er ausprobieren. Und ehe er es sich versieht, landet er in Nürnberg des Jahres 1484. Dort lernt er einen Jungen namens Albrecht kennen, den Sohn des angesehenen Goldschmieds Dürer. Das Mittelalter jedoch ist ihm fremd. Er möchte zurück in sein vertrautes Zuhause, seinen Eltern und seinem weichen Bett. Bevor er aber zurückkehren kann, erhält er bei einem Überfall einen Schlag auf den Kopf und verliert sein Gedächtnis. Er weiß nicht, wer er ist und woher er kommt. Seine Familie, den hohlen Baum und die Zeitreise hat er vergessen. Er muss lernen, dass das Mittelalter nicht viel übrig hat für einen mittellosen Waisenjungen wie ihn. Zum Glück hilft ihm die gütige Baderin Katrin, die ihn in ihrer Apotheke aufnimmt. Mit ihrer Art macht sie sich jedoch nicht nur Freunde. Schon bald wird sie als Hexe angeklagt und eingesperrt. Wer möchte die Baderin aus dem Weg haben? Zum Glück kann sie sich auf treue Freunde verlassen, doch die Zeit wird knapp. Mit Albrecht an seiner Seite macht sich Oskar auf die Suche. Hat die Anklage Katrins etwas mit dem Verschwinden der Säuglinge aus dem Spital zu tun? Bald stecken die beiden Jungen in einem Abenteuer, das sie selbst in tödliche Gefahr bringt.
Das Buch bietet eine enorme Vielfalt an Möglichkeiten. Bereits beim Lesen des Buches stellen sich den Kindern Fragen. Fremde Begriffe tauchen auf. Was ist eine Baderin? Was ist ein Büttel? Ein Spital? Ein Siechkobel? Ein Pater? Bald ergeben sich komplexere Themen, zu denen die Kinder forschen wollen. Gab es die unterirdischen Gänge in Nürnberg tatsächlich, von denen das Buch berichtet. Wie war die medizinische Versorgung im Mittelalter? Gab es eine Feuerwehr? Was ist der Unterschied zwischen einem Medicus und einem Bader? Was ist eine Zunft? Welche Gewerke gab es im Mittelalter? Wie war eine Stadt im Mittelalter strukturiert? Im Buch ist die Rede von einer Kaiserburg in Nürnberg? Wie ist eine Burg aufgebaut, aus welchen Teilen besteht sie? Im Buch ist von Teigtaschen mit Honig gesüßtem Fleisch die Rede und von Hirsebrei. Das klingt für uns heute etwas exotisch. Was gab es eigentlich im Mittelalter zu essen? Natürlich bietet sich auch Albrecht Dürer an, den wir in dem Buch als dreizehnjährigen Jungen kennenlernen und der wenige Tage später zu einem der bedeutendsten Maler der Renaissance heranreifen wird. Wer war Albrecht Dürer? Die Kinder staunen über die realistische Darstellung eines von Dürer gemalten Hasen oder über das berühmte Rhinozeros, dass Dürer zeichnete, ohne ein Nashorn je gesehen zu haben. Auch das Monogramm Dürers, mit dem er seine Bilder häufig signierte, animiert die Schüler zur Nachahmung oder zum Entwerfen eigener Monogramme.
Das Buch macht die Zeit des ausgehenden Mittelalters plastisch erlebbar. Es ist kein trockenes Lehrbuch mit Fakten, Tabellen und Quellen sondern man erlebt diese Zeit in einer spannenden Geschichte, die im Alltag dieser Zeit spielt. Plötzlich wird ein Name wie Albrecht Dürer zu einer greifbaren Person. Ein Junge, mit dem sich die Kinder identifizieren können. Ein Junge, der fühlt, denkt und lacht, der beim Murmelspiel gewinnt oder die Leprakranken mit Steinen verjagt. Das ist die Kraft von Büchern die den Leser in Ihren Bann ziehen und Geschichte spannend machen kann.
Das zweite Buch ist „Der kleine Prinz“, das Meisterwerk von Antoine de Saint-Exupéry, dass 1943 in New York erschien, wo sich der Autor im Exil aufhielt. Ausgehend von einem tatsächlichen Flugzeugabsturz des Autors in der ägyptischen Wüste, schrieb er anschließend sein Buch über den keinen Prinzen, dass inzwischen in 180 Sprachen übersetzt wurde. Zitate dieser Geschichte sind längst in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Der kleine Prinz, weitgereist von seinem kleinen Asteroiden B 612, für den das Bild eines Elefanten, den eine Schlange verschluckt hat eben kein Hut ist. Der einen Fuchs als seinen besten Freund findet, der ihm das Geheimnis der Bindung zweier Menschen erklärt. Dem ein Feld voller Rosen seine Rose, die er zuhause zurückließ, nicht aufwerten kann. Der sich vom Biss einer Giftschlange zurück in seine Heimat bringen lassen möchte. Der kleine Prinz! Dieses wertvolle Buch, dass als Kritik am Werteverfall der Gesellschaft verstanden wird und über den Wert von Freundschaft und Menschlichkeit philosophiert.
Nach dem Lesen des Buches, erstellen Schüler zu dieser Geschichte ein Theaterstück mit selbstgebastelten Stabfiguren, das sie vor der Klasse aufführen. Anschließend sehen die Schüler eine Verfilmung des Stoffes aus dem Jahr 2015. Ein Animationsfilm, der die Story des Buches in eine fiktive Rahmenhandlung einbettet, die in der Gegenwart spielen könnte.
Der Pilot des Buches ist in diesem Film inzwischen alt und auch ein wenig kauzig geworden. Er lebt in einer rechtwinkligen Welt, wo das Leben geradlinig verläuft und Kinder als kleine Erwachsene aufwachsen, um bestmöglich auf das zukünftige Leben vorbereitet zu werden. Eine graue Welt, wo die Fantasie unter allen Umständen unterdrückt wird. Ein kleines Mädchen, deren höchstes Ziel es ist, auf die gehobene „Werth-Akademie“ aufgenommen zu werden, zieht in das Haus neben dem alten Mann. Durch heimliche Briefe, in denen der alte Mann von seinen Erlebnissen mit einem kleinen Prinzen erzählt, werden beiden, gegen die Widerstände ihrer Umgebung, Freunde. Indem das Mädchen endlich zu leben beginnt, lernt sie, den tatsächlichen Wert von Leben und Freundschaft zu begreifen.
Noch gebannt von dem Film schreiben die Schüler Brief an ein älteres Selbst, in denen sie für sich selbst notieren, was ihnen heute als Kind wichtig ist und was sie auch als Erwachsene nicht vergessen wollen. Fantasie steht an erster Stelle. Gefühle zu zeigen und auch als Erwachsene noch immer ein wenig Kind zu sein, geben sie sich selbst mit auf den Weg.
Zwei Bücher, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Oskar, der in die Welt des Mittelalters eintaucht und der kleine Prinz, der durch das Weltall reist, einen Freund zu finden. Literatur aus unterschiedlichen Entstehungszeiten, die die Kinder mit der Kraft der Fantasie konfrontiert und sie in fremde Welten entführt. Ihnen zeigt, dass Literatur nicht abgehoben und weltfremd ist, sondern Spaß macht, Wissbegierde anregt und nach mehr verlangt. Wen wundert es, dass die Schüler längst entdeckt haben, dass es von Oskar weitere drei Abenteuer zu entdecken gibt, die ihn erneut ins Mittelalter führen. Bücher, die die Kinder mit in die Ferien nehmen, weil sie wissen wollen, wie es mit Oskar weiter geht. Schulstoff freiwillig in den Ferien? Die Interessen der Kinder als Auslöser für das Lernen, das ist das Ziel und Grundlage des selbständigen Lernens des Kindes, von dem Maria Montessori spricht. Erst an dieser Stelle sieht man, wie wichtig es ist, dass Schule Spaß macht. Denn nur aus Spaß und Freude folgt der Antrieb, neues Wissen zu entdecken. Dann bleibt am Ende die Erkenntnis des kleinen Prinzen, dass man „nur mit dem Herzen gut sieht, weil das Wesentliche für die Augen unsichtbar bleibt.“
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Veröffentlich in der Kategorie "Oberschule" am 18.10.2016