1. Vorwort
"Oberstes Anliegen des öffentlichen Bildungswesens ist es mithin, die Persönlichkeit des Schülers zu entwickeln und individuell zu fördern sowie seine Kreativität zu wecken. Er soll die Fähigkeit zu selbstständigem, kritischen Urteil und schöpferischer Tätigkeit erhalten. "
(Einführung zum Sächsischen Schulgesetz 1991)
Mit der Gründung der Montessori-Schule Chemnitz soll die sächsische Bildungslandschaft durch eine Alternative bereichert werden, die auf der Grundlage der Montessori-Pädagogik kindgerechte Sozial- und Lernräume zum Selbstentdecken, Selbstentscheiden, Ausprobieren, Begreifen und Verändern der Umwelt schafft. Dabei stützen wir uns auf die Erfahrungen anerkannter Montessori-Schulen und der wissenschaftlichen Unterstützung der Technischen Universität Chemnitz. Die gegenseitige Achtung, Kommunikation und Kooperation zwischen allen interessierten Schulen unserer Montessori-Schule soll dabei zum Austausch von Lehr- und Lernerfahrungen der Lehrer und Kinder gefördert werden.
"Kinder sind keine Fässer, die gefüllt, sondern Feuer, die entfacht werden wollen." (Francois Rabelais)
2. Die Pädagogik
Die Einstellung zum Kind
Grundlage unserer Arbeit sind die Erkenntnisse Montessoris über die notwendigen Freiheiten für die kindliche Entwicklung. Ausgehend von der Psyche des Kindes als eigenständiges Wesen stellt sie fest, dass Kinder alle notwendigen Grundlagen und Voraussetzungen zum Erwachsenwerden in sich tragen. Daraus resultieren die größtmöglichste Achtung, Wertschätzung und das Vertrauen zum Bildungswillen und zur Bildungsfähigkeit unserer Schüler.
Der neue Lehrer
Diese Einstellung fordert von ErzieherInnen - gemeint sind auch stets die LehrerInnen - "weise Zurückhaltung" statt "schrankenloser Macht" (Maria Montessori: Grundlagen meiner Pädagogik). Erwachsene begleiten Kinder auf dem Weg ihrer Entwicklung, sind aber keineswegs diejenigen,
die Entwicklung und Wachsen bestimmen oder antreiben.
Entwicklung ist ein Prozess, der vom Kind selbst geleistet wird, durchaus in Beziehungen zu Erwachsenen, zur Umwelt, zur Gemeinschaft, in die es hineingeboren wird. Nicht selten stellen sich dem Kind in seiner Umgebung Hindernisse und Erschwernisse in den Weg. Den ErzieherInnen kommt dabei die verantwortungsvolle Aufgabe zu, dem Kind Helfer zu sein, seine Entwicklung aufmerksam zu beobachten, mitzuverfolgen, um im rechten Augenblick Angebote machen zu können und, wenn nötig, gezielte Hilfe zu geben. Das erfordert die genaue Kenntnis kindlicher Entwicklung, der sogenannten sensiblen Phasen der Entwicklung, ein behutsames Entscheiden aus der aufmerksamen und respektvollen Distanz heraus. Um diesen vorsichtigen, feinfühligen und vielfältigen Ansprüchen gerecht zu werden, ist für die Pädagogen unserer Schule die bundesweit anerkannte Zusatzausbildung zum Montessori-Diplom notwendig.
Die vorbereitete Umgebung
Um ein selbstgestaltetes und selbstgelenktes Arbeiten zu ermöglichen, bedarf es der Sorge der ErzieherIn für die Ausstattung der Klassenräume ebenso wie des weiteren Umfeldes, d.h. sie sorgt für eine vorbereitete Umgebung.
Das Material als Bestandteil der Umgebung wird in fünf Bereichen (Sprache, Mathematik, Sinneserziehung, Tägliches Leben und Kosmische Erziehung) den Kindern in offen zugänglichen und geordneten Regalen und Schränken angeboten, ist also immer verfügbar und so weit für das Kind aufbereitet, dass es jede Tätigkeit selbst ausführen kann. Das bedeutet für die Ausstattung der Unterrichts- und Horträume kindlich angemessenes Mobiliar, verschiedene Zonen und Arbeitsbereiche (z.B. Bastelecken, Experimentiertisch, Leseecke usw.), Küchenherd, Spüle, Geschirr, Werkzeug, Putzzeug und vieles mehr.
Die von Maria Montessori hervorgebrachten Entwicklungsmaterialien (und die auf dieser Basis weitervervollständigten Dinge) sind keine Lehrmittel, damit die ErzieherIn dem Kind Sachverhalte zum Verständnis veranschaulicht. Es ist vielmehr Material für die Hand des Kindes, damit es selbst seine Bewegungen und Sinne - und damit seine Intelligenz und gesamte Persönlichkeit - vervollkommnen kann. Es entspricht den Prinzipien der Ästhetik, Aktivierung, Begrenzung und der Selbstkontrolle.
Mit Umgebung ist auch die natürliche Umwelt, in der wir leben, zu der selbstverständlich auch die menschliche Gemeinschaft sowie Pflanzen und Tiere gehören, gemeint. Ihr soll besonders Rechnung getragen werden. Sie ist für das Kind Bewegungs- und Erfahrungsraum, in dem es in Freiheit aktiv wird und Erkenntnisse gewinnt. Vorbereitete Umgebung meint nicht Schonraum, der das "wirkliche Leben" ausschließt und dem Kind unrealistische Bedingungen anbietet. Das Kind soll Anreize und Herausforderungen vorfinden, um sich anzustrengen und intensiv zu arbeiten.
Die freie Wahl der Arbeit
Etwa die Hälfte der Unterrichtszeit unserer Schule ist der Freiarbeit gewidmet. Anhand differenzierter Angebote von Entwicklungsmaterialien entscheidet das Kind selbst über Inhalt, Form, Zeitpunkt, Dauer und Partner beim Arbeiten. Die wohlgeordnete Umgebung gibt dem Kind einen Rahmen, der Orientierungshilfe und Experimentierfeld zugleich ist. Die ErzieherIn führt das Material nach und nach ein, zeigt dem Kind den richtigen Gebrauch. Dann kann das Kind gezielt Dinge, die sein Interesse geweckt haben, auswählen und bearbeiten.
Die freie Wahl erfordert innere Entscheidung, ist also ein bewusster Vorgang, der Aktivität, Entschlossenheit und Selbstkompetenz einschließt, die sich nur in Beziehung zur ErzieherIn und zur Umgebung entwickeln können. Die freie Wahl der Arbeit hat den individuellen Lernweg zur Folge. Nicht ein bestimmter Stoffplan diktiert das Fortschreiten beim Lernen noch ein mittlerer Leistungsstand einer ganzen Gruppe. Angebote werden für jedes einzelne Kind gemacht, entsprechend seinen Fähigkeiten und Erfahrungen, seinen Interessen und Bedürfnissen. Das bedeutet, dass Kinder innerhalb einer Klasse auf unterschiedlichen Ebenen arbeiten, trotzdem innerhalb einer Gemeinschaft, ohne Wettbewerb und unnötigen Leistungsstress. Prozessbezogene Entwicklungsberichte werden in unserer Schule aufgrund genauer Beobachtungen und Beurteilungen erstellt und sind Noten weitestgehend vorzuziehen. Bei dieser Form des Lernens haben Kinder die Zeit, die sie brauchen. Sie können verweilen, wiederholen, sie können sich in Ruhe auf eine Arbeit einlassen in dem Tempo, das ihnen eigen ist. Nicht der Schulgong, nicht die LehrerIn bestimmt das Ende seiner Arbeit, sondern das Kind selbst. Auf diesem Weg lernt jedes Kind fächerübergreifend, ganzheitlich lesen und schreiben, erwirbt mathematische und sachkundliche Kenntnisse entsprechend dem sächsischen Lehrplan.
Gemeinsame Aktivitäten wie Sport, Musik, Projekte u. ä. ergänzen die Freiarbeit. Entsprechend unserem Anspruch Ganztagsschule zu sein, werden besonders hier Hort und Schulbereich eng miteinander verbunden. Ziel der gesamten Erziehungstätigkeit ist eine ausgeglichene kindliche Persönlichkeit . Während des gesamten Tagesablaufes wird daher auf eine Rhythmisierung der Aktivitäten geachtet. Stille erleben ist genauso wichtig wie individuelles oder gemeinsames Tun.
Die Grenzen der Freiheit für jeden in unserer Schule stehen dort, wo die Freiheit der anderen eingeschränkt würde.
Die soziale Integration
Das erfüllte Individuum ist die Voraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft. Die Schule von heute hat nicht den Auftrag, ihre Schüler zu gut angepassten Einzelteilen eines großen Getriebes zu formen. Kinder sollen zur Selbstentfaltung befähigt werden. Nur so können sie sich in unsere Gesellschaft einbringen und stellen für diese eine Bereicherung dar.
In der Freiarbeit und während der Horterziehung wird die Jahrgangsklasse aufgehoben und durch altersgemischte Gruppen ersetzt. Dies fördert das soziale Lernen sowie die Ausbildung sozialer Kompetenzen überhaupt. Jedes Kind kommt damit sowohl in die Rolle des Helfenden, der für die Jüngeren Verantwortung mitträgt, nachdem es zuvor selbst Unterstützung und Orientierung von Älteren erhalten hat.
Als besonderes Moment bietet die Integration behinderter Kinder eine wechselseitige Bereicherung für alle. Behinderte werden durch die besonderen heilpädagogischen Möglichkeiten der Montessori-Pädagogik individuell gefördert und erfahren zugleich ihre Einbeziehung ohne behinderungsspezifische Ausgrenzung mit all ihren Folgen. Zusammen mit den nichtbehinderten Kindern lernen sie, dass der Wert eines Menschen nicht von seiner Leistungsfähigkeit abhängt und jeder auf seine Art das Zusammenleben bereichert. Gemeinsam werden sie sensibilisiert für die Bedürfnisse und Interessen anderer, entwickeln ein Gespür dafür, wo Hilfe angebracht oder erforderlich ist und lernen diese selbstverständlich zu leisten oder in Anspruch zu nehmen. Vor der Aufnahme behinderter Kinder in unsere Schule sind die personellen und materiellen Voraussetzungen für eine schädigungsspezifisache Förderung zu schaffen.
Die Elternarbeit
Die Eltern-Mit-Arbeit, ihr inhaltliches und praktisches Engagement für die Entfaltung der Montessori-Pädagogik in unserer Schule ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die Schaffung einer vorbereiteten Umgebung für unsere Kinder. Das erfordert von allen Eltern die inhaltliche Identifizierung mit dem pädagogischen Konzept als auch die Verpflichtung zu einer ihren Möglichkeiten entsprechenden Mitarbeit und zur Mitgliedschaft im Montessori-Verein Chemnitz e.V.
Zur inhaltlichen Mitarbeit zählt insbesondere die fortlaufende Information über den Lern- und Entwicklungsprozess der Kinder in Erzieher-Eltern-Gesprächen, die Sorge um die pädagogische Ausgestaltung der gesamten Klasse in gemeinsamen Elternversammlungen bis hin zu Schulversammlungen mit Schüler-, Elternrat und Pädagogen. Diese Podien bieten für die Eltern Informationen und Gedankenaustausch zugleich. Die praktische Unterstützung umfaßt u.a. die Hilfe bei Schulveranstaltungen und bei der Ausgestaltung des Schulgeländes.
3. Struktur
Schulstruktur und Öffnungszeiten
Die Montessori-Schule Chemnitz beginnt ihren Betrieb als Integrative Grundschule mit dem Schuljahr 1996/97. Weiterführend wird der Aufbau der Sekundarstufe angestrebt.
Die Schule ist während der Schulzeit täglich von 07.30 Uhr bis 12.00 Uhr geöffnet.
Der Montessori-Schule Chemnitz wird ein Hort angegliedert.
Dieser realisiert eine Tagesbetreuung und -erziehung zwischen 12.00 und 16.00 Uhr. Ein Frühhort ab 06.30 Uhr und ein Späthort bis 17.00 Uhr wird nach Bedarf eingerichtet. Der Hort arbeitet nach einem eigenständigen Konzept, welches mit der Schulkonzeption abzustimmen ist.
Ausbildungsinhalte/ Stundentafel
Die Ausbildungsinhalte richten sich voll inhaltlich nach dem jeweils gültigen Lehrplanwerk für die sächsische Grundschule. Die im Lehrplan enthaltenen selbstbildenden Unterrichtsmethoden (Freiarbeit, differenzierte Maßnahmen, Projektmethoden, entdeckendes Lernen...) werden entsprechend der Montessori-Pädagogik umfassend angewendet. So findet in den Fächern Mathematik, Deutsch und Sachkunde überwiegend kein Frontaltunterricht sondern Freiarbeit statt. Diese werden durch den Klassenunterricht u. a. für Sport, Musik, Werken und Schulgarten ergänzt, sofern die jeweiligen Lehrplaninhalte nicht in der Freiarbeit vermittelbar sind. Die Gesamtzahl der Wochenstunden pro Klasse und der Anteil der einzelnen Fächer am Gesamtvolumen richtet sich nach dem sächsischen Lehrplan.
Tägliche Stundentafel
1. - 2. Stunde: Freiarbeit in altersgemischten Gruppen
3. und folgende Stunden: Klassenunterricht