Soll unsere Schule wirklich weniger wert sein?

Aufgeregt wuseln die Schüler aus Chemnitz am Freitag, dem 17. April 2015 über den Bernhard-von-Lindenau-Platz in Dresden. Es ist 10 Uhr. Sie schwingen Transparente durch die Luft, blasen in ihre Trillerpfeifen, dass es in den Ohren schmerzt und skandieren lautstark gegen die Ungerechtigkeit. Hinter ihnen, in dem von Polizei bewachten Gebäude, tagt zu dieser Zeit der sächsische Landtag. Unsere Abgeordneten debattieren gerade über ein Gesetz, dass sich mit der Neuregelung der Finanzierung freier Schulen befasst.

Der Sächsische Verfassungsgerichtshof hatte 2013 ein Urteil erlassen, nachdem die bisherigen Finanzierungsregeln des Freistaates gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßen. Die Landesregierung kündigte daraufhin eine Erhöhung der Zuschüsse an, die in einem neuen Gesetz auf den Weg gebracht werden soll. Doch bald machte sich Ernüchterung breit. Zwar ist geplant, dass die Zuschüsse im Jahr 2016 angehoben werden, sie liegen aber im Vergleich zu staatlichen Schulen lediglich bei 70 Prozent. Wir als freie Schulen verstehen das Verfassungsgerichtsurteil jedoch als eine Aufforderung an den Freistaat, öffentliche und private Schule gleichzusetzen. Dies ist mit dem neuen Gesetz jedoch nicht gegeben. Das verfassungsgemäße Recht auf freie Schulwahl darf nicht an finanziellen Kriterien scheitern.

Unter dem Motto „Stopp dem Verfassungsbruch! Für eine faire Finanzierung freier Schulen im Freistaat Sachsen!“ wurde zu Protesten gegen die Pläne der Landesregierung aufgerufen. Im Internet wurde eine Online-Petition eingerichtet. Die benötigten 16.000 Stimmen hatte man nach wenigen Tagen zusammen. Am Mittwoch, dem 15. April 2015, waren alle 380 freien Schulen in Sachsen aufgefordert auf dem Schulhof zu protestieren und an einer Fotoaktion teilzunehmen. Punkt 13 Uhr versammelten sich daraufhin alle Schüler der weiterführenden Montessori-Schule Chemnitz, um eine „70 Prozent“ darzustellen und klar zu machen, dass man mit dieser Entscheidung nicht zufrieden sein würde.

Freie Schulen sehen sich immer wieder in der öffentlichen Kritik. Sie seien Einrichtungen, in denen die Schüler machen dürfen, was sie wollen oder in denen Schüler das scheinbar lächerliche Lernziel verfolgen, ihren Namen tanzen zu können. Spiel- und Spaßschulen seien sie, bei denen man sich fragen muss, warum der Staat überhaupt Geld an die Schulen gibt. Wer an Privatschulen lernen will, muss dafür eben Geld bezahlen. Es sei ein Irrsinn, Privatschulen vom Staat finanzieren zu lassen. So oder so ähnlich pfeifen es an allen Ecken die Spatzen von den Dächern. Dabei muss man jedoch erwidern, was ist so falsch daran, Lerninhalte spielerisch zu vermitteln und dabei zu sehen, dass die Schüler Spaß am Unterricht haben. „Ich gehe gern in die Schule! Und Du?“ fragt die Schülerin einer freien Schule auf ihrem Plakat vor dem Landtag. Kurzfristig hatte sich die Schulleitung entschieden, sich nicht auf den Schulhof beschränken zu lassen, sondern vor Ort mit sichtbarer Präsenz gegen die Realisierung des geplanten Gesetzes zu demonstrieren. Zwei Busse wurden gechartert, die die gesamte Grundstufe der Schule nach Dresden bringen sollte. Die restlichen Schüler fuhren parallel mit der Bahn in die Landeshauptstadt.

Nun stehen sie mit ihren Bannern und Transparenten vor dem Landtag. Weitere Mitglieder sächsischer Schulen in freier Trägerschaft füllen den Platz. Eine Elternvertretung hatte zu der Demonstration aufgerufen. Auf einer kleiner Bühnen werden die angereisten Schulen begrüßt. Die Kapelle „Banda Comunale“ aus Dresden sorgt mitreißend für das Rahmenprogramm. Sie schwingen ihre Klarinetten und Posaunen. Eine alles überragende Tuba gibt unbeirrbar den Takt vor. Die Stimmung gleicht eher einem Volksfest. Kinder in bunten Farben wimmeln über den grauen Asphalt. Irgendwo ertönt Gesang zu einer Gitarre, eine Gruppe von Schülern und Pädagogen starten eine Polonaise. Große Schilder mit Forderungen und Slogans werden durch die Luft gewirbelt. „Sind wir weniger wert?“ fragen sie. Immer wieder betreten spontane Redner die Bühne. Einer zitiert den Rektor eines staatlichen Gymnasiums in Dresden, der sich gegen eine Gleichbehandlung freier Schulen ausgesprochen hatte, weil er darin eine Wettbewerbsverzerrung sieht, da staatliche Schulen nie so flexibel und attraktiv sein könnten wie freie Schulen. Ein anderer Sprecher erinnert daran, dass die Inklusionsvorgaben aus Brüssel bisher hauptsächlich von freien Schulen eingehalten werden. Sogar ein Schüler unserer Schule sprach zu den Menschen auf dem Platz und gab zu bedenken, wie unvorstellbar es sei, dass in einer Stadt wie Dresden, die sich als besonders weltoffen darstellt, freien Schulen die Gleichstellung abgesprochen wird. Schließlich meldete sich sogar eine stellvertretende Fraktionsvorsitzende aus dem sächsischen Landtag zu Wort und sprach den Demonstrierenden ihre Unterstützung aus.

Später auf der Heimfahrt waren die Ereignisse des Vormittags noch immer in den Köpfen der Schüler präsent. Sicher, sie hatten heute Mathe-, Deutsch- oder Englischunterricht verpasst und der eine oder andere war sicher auch ein wenig froh darüber, aber sie hatten heute etwas weit Wichtigeres erfahren. Sie hatten gesehen, dass man für seine Überzeugung kämpfen muss, dass ein Kampf durchaus auch bedeuten kann, Präsenz zu zeigen, dass man dafür etwas Investieren muss. Kraft, Zeit und Geld. Und jeder, der es genießt, in unsere Schule zu gehen, wird wissen, dass es das wert ist. Eine Erkenntnis, die man in keinem Klassenzimmer lernen kann.

Veröffentlich in der Kategorie "Primary school", "Secondary school", "Gymnasium" am 20.04.2015

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